Wenn Fremdheit sich aufbäumt

Die Tür zur Welt dieses Buches hat ziemlich geklemmt. Durch einen kleinen Spalt habe ich erst nur hineingelugt: viele Namen, merkwürdige Beschäftigungen, seltsame Anspielungen. Kein Durchkommen.

Dann das ganze Programm des Zweifelns. Ich bin endgültig auf Netflix Niveau verflacht. Konzentrationsfähigkeit gleich Null. Therapieplatz dringend gesucht. Der Pulitzer-Preis für so einen komplizierten Mist? Alle blöd? Hab ich ja schon immer geahnt oder? Kapitulation. Ich check’s nicht.

Nachdem ich das alles durchlaufen und trotzdem, ich weiß nicht warum, weiter an der Tür gerüttelt habe, und ich sage euch, das war ein etwas schwierigeres Unterfangen, haben der Nachtwächter und ich doch noch leise, leise zarte Bande knüpfen und schließlich zueinander finden können, so zueinander, dass mir am Ende das Herz ein bisschen schwer wurde, als ich sie nach der letzten Seite alle gehen lassen musste, sie, die mich in das Leben indigener AmerikanerInnen so sperrig wie behutsam hineingezogen haben.

Mit Thomas Wazhashk war ich nachts in der ersten Fabrik in der Nähe des Turtle Mountain-Reservats im ländlichen North Dakota, habe ich gegen den Schlaf gekämpft, mit den Geistern der Toten gesprochen, Briefe geschrieben und mich gegen das Emanzipationsgesetz erhoben. Patrice hat mir gezeigt, was Mut ist und wie man seinen eigenen Kopf nicht nur durchsetzt, sondern auch oben hält. Zhaanats hat mich für das Vertrauen in die Natur und die Tradition sensibilisiert und Wood Mountain? Ach, Wood Mountain hat mich einfach nur gerührt.

Ich habe Einblicke gewonnen in indigene Kulturwelten, und ich habe am eigenen Leibe erfahren, wie Fremdheit sich vor einem aufbäumen kann und wie sie zu überwinden ist. Ob das wohl so gewollt war? Beste Freundinnen sind wir vielleicht nicht geworden, Louise Erdrich und ich, aber meinen tiefen Respekt, den hat sie, und das ist doch ein Anfang oder?

Louise Erdrich. Der Nachtwächter
Aus dem Amerikanischen von Gesine Schröder
Aufbau Verlag
ISBN 978-3-351-03857-1