Mit Verlaub Herr Kehlmann

Sehr geehrter Herr Kehlmann, Sie sind ein sehr kluger Mann! Sicher haben Sie gute Gründe dafür, warum Sie in diesem Ihrem Buch mit dem so schönen und allgemeinen Titel ‚Lob/ Über Literatur’ keine einzige Autorin diskutieren.

Nicht dass Sie so gar keine weiblichen Wesen erwähnen. Oh nein! Es gibt die schreckliche Dichterin Jeannie Billroth, eine Literaturagentin, die ihren Job nicht macht, eine Vertriebschefin, die es versäumt hat, einen Ihrer Buchtitel für das Verzeichnis lieferbarer Bücher anzumelden und eine Internetforumsteilnehmerin, die Ihr Buch nicht schätzt, sich aber mit dem Benutzernamen die_zwetschge_sumsi glücklicherweise gleich selbst diskreditiert. Da formt sich im Kopf der LeserInnen natürlich ein Bild – aber wer wüsste das besser als Sie?

Ich möchte Sie auf gar keinen Fall belehren. Sie sind ein sehr reflektierter Mann, und die Gleichberechtigung ist keine Erfindung des 3. Jahrtausends, also werden Sie selbstverständlich auch 2010, das Jahr, in dem Ihr Buch erschienen ist, bereits Ihre Gründe gehabt haben. Wären Sie so freundlich, uns, also ich meine, die andere Hälfte der Menschheit, an diesen teilhaben zu lassen?

Sie verstehen bestimmt, dass uns dieses Hintergrundwissen wichtige Hinweise dafür liefern könnte, wie Ihre Beiträge und Bücher einzuschätzen sind, und das, das wäre ja quasi auch in Ihrem Interesse, denn man möchte doch richtig verstanden werden, wenn man eine so gewichtige Stimme im deutschen Literaturbetrieb ist oder?

 

Daniel Kehlmann. Lob. Über Literatur
Rowohlt TB
ISBN 978-3-499-25781-0

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