Heisses Lüftchen
Die Autorin macht es uns ungefähr 700 Seiten lang warm und gemütlich, schaltet überall Lichter an, leuchtet die Räume der Menschen aus, von denen sie erzählt, zeigt uns alle Ecken ihrer Beziehungen zueinander und auch das, was sich dahinter verbirgt.
Sie füttert uns mit Details über Martins Leben, Gedanken und Erinnerungen an bohèmehafte Zeiten in Paris und Göteborg, seinen Traum vom Schriftstellerdasein, seine Liebe zu Cecilia, die in einem kleinen Raum im Dachboden auf der Schreibmaschine hämmert und dann irgendwann weg ist, ihre gemeinsame Tochter Rakel, die ab und an erschöpft auf dem Sofa einschläft, zunehmend aber getrieben von der Vergangenheit und der Suche nach ihrer Mutter ist und natürlich Gustav, der beste Freund, der selten anwesend, aber trotzdem ständig präsent ist und am Rand einer Depression dahin schlittert.
Lydia Sandgren füttert uns, wir haben es gut, auch wenn oft Alkohol im Spiel ist, die Aschenbecher überquellen, und wir Berge von ungewaschenem Geschirr im Blick haben. Pralles Leben halt. Gestern und heute. Es geht um Literatur, Schreiben, Freundschaft, Verlust, das Ende von Träumen und den Genuss des Alltags.
Mit sicherem Instinkt webt Lydia Sandgren komplizierte Beziehungsgeflechte, führt sie ihre LeserInnen mit fester Hand durch das Labyrinth dieser Familie, lädt sie ein zum wohligen Versinken in den Polstern eines kulturgetränkten Lebens bis, ja bis sie sich auf den letzten Seiten irgendwie unbemerkt aus dem Staub macht, ein paar Andeutungen zurück und einige Fragen offen lässt und damit Tür und Tor für Vermutungen öffnet, dem Verdacht auf wilde Geheimnisse Einlass gewährt und schließlich ein bisschen heiße Luft zurücklässt – irgendwie als hätte sie urplötzlich die Angst vor Offenherzigkeit gepackt, die Furcht davor, banal zu erscheinen, wenn sie das Ende der Geschichten offen auf den Tisch des Hauses legt. Das ist schade und vor allem unnötig, denn Lydia Sandgren ist so weit davon entfernt banal zu sein, dass sie sämtliche Details ihres Romans in gleißendes Licht tauchen könnte und trotzdem einen tiefen Nachhall hinterlassen würde.
Lydia Sandgren. Gesammelte Werke
Aus dem Schwedischen von Stefan Pluschkat und Karl-Ludwig Wetzig
mareverlag
ISBN 978-3-86648-661-4
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