Ja und nein
Nein. Yasmina Reza hebt nicht die Decke hoch und lässt uns in ihr Bett. Kein Kuscheltier, kein Zufluchtsort. Die Schlafzimmertür bleibt zu und wir draußen.
Auf den zugigen Straßen von Paris müssen wir uns mit Serge, Jean und Nana herumschlagen. Drei Geschwister, die nach dem Tod ihrer Mutter, einer ungarischen Jüdin, gemeinsam nach Auschwitz fahren, weil Josephine, Serges Tochter, sich das in den Kopf gesetzt hat. Doch wer sich an diesem schicksalhaften Ort der Geschichte erlösende Bekenntnisse, eine innere Einkehr oder etwas in der Art erhofft, der wird enttäuscht.
Serge, Jean und Nana haben keinen festen Boden unter den Füssen. Serge, der Älteste, hält sich für den großen Macher, vergrault die Frauen und hegt einen Groll gegen die Welt, die ihn so gründlich verkennt. Jean, der Mittlere, setzt von vornherein auf Halbheiten, auf Marion, deren Sohn ihm interessanter scheint als sie, forscht über Kabel, die Strom transportieren und kümmert sich um Maurice, der 99jährig in der dunkelsten aller Wohnungen dem Tod entgegensieht. Nana, die verhätschelte Jüngste, hat in einem Anfall von jugendlichem Größenwahn den Looser Ramos Ochoa geheiratet und versucht seitdem mit kindlicher Verbissenheit ihren Weg zu rechtfertigen.
Yasmina Reza sagt zu alldem nicht nein und nicht ja. Im Gegenteil. Sie schweißt die Versatzstücke dieser geschichtsvergessenen Familiengeschichte so notdürftig zusammen, das ums Verrecken kein Ganzes daraus werden kann. Und doch bewegt sie sich mit sicheren Schritten auf wankendem Grund. Mit Witz stößt sie sich von tragischen Abgründen ab und an den Geschehnissen des Alltags hält sie sich instinktiv fest, um nicht in halsbrecherische Höhenflüge abzudriften.
Nicht umsonst ist Yasmina Rezas stärkste Waffe der Dialog. Im Gegeneinander von Für- und Widerrede verschafft sie der Phantasie den Raum, den sie braucht, um ihre Flügel zu entfalten. Manch eine*r könnte denken: Ob ich das jetzt gelesen habe oder nicht? Nichts zum Festhalten und Mitnehmen. Irgendwie unpraktisch. Doch das genau, so scheint mir, ist die Moral von der Geschichte, die leichtfüßig das Moralische unterwandert und immer wieder neu ihre eigene Flugbahn sucht.
Yasima Reza. Serge
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmit-Henkel
Hanser
ISBN 978-3-446-27292-7
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