Eine Frage der Zeit
Fred, die eigentlich Friederike heißt, ist gründlich abgeklärt. Sie hat einige Jahre im diplomatischen Dienst auf dem Buckel, die Nase voll von Diskussionen über Grillfleisch für die Feier zum 3. Oktober, wild gewordene Touristen in Not gehen ihr auf die Nerven und auf schwarz-rot-gelbe Auslandsromantik kann sie auch verzichten. So hatte sie sich das nicht gedacht mit diesem Job im diplomatischen Dienst, der sie aus dem Arbeitermilieu ihrer Herkunft ins internationale Irgendwas katapultiert hat.
Schon auf der ersten Seite dieses Buches wird klar, es ist nur eine Frage der Zeit, wann Fred der Geduldsfaden reißt. Ihr dann dabei zuzusehen, wie sie sich Stück für Stück mehr vom Protokoll befreit, sich besinnt auf Menschliches, allzu Menschliches und schließlich zupackt statt auf diplomatische Endlosschleifen zu setzen, das war mir ein großes Vergnügen, ein kurzweiliges Leseerlebnis und ein literarischer Hochgenuss.
Bei Lucy Fricke kommt das Große klein daher. Sie jubelt es uns quasi im Vorbeigehen unter. Ein Wort, das erst selbstverständlich scheint, dann den Satz stocken lässt, eine Bemerkung, die erst komisch ist, dann Tränen auslöst, eine Story, die banal beginnt und dann im Handumdrehen globale Themen wie Rechtsstaatlichkeit und Humanität touchiert –Lucy Fricke erzählt mit einer Leichtigkeit, die so geradlinig daherkommt, das man meinen könnte, die Welt sei einfach. Wenn da doch nur nicht dieser Nachgeschmack wäre, in dessen Folge unendlich viele Lichter angeknipst werden, die nicht aufhören wollen, die Dinge von immer neuen Seiten zu beleuchten. So ein Mist oder?
Lucy Fricke, Die Diplomatin
Claassen Verlag
ISBN 978-3-8437-2653-5
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