Über jeden Zweifel erhaben

Die Effekte sind deutlich. Da gibt es kein Vertun. Eine angehende Theologin mit dem aus der Zeit gefallenen Namen Elke leidet unter Gottdemenz. Sie ist knapp 30. Warum so spät, so plötzlich und überhaupt? Unklar. Egal. Sie zweifelt tief und gründlich. An allem und jedem. Tamar Noort zeichnet Elkes Weg jedoch in Bildern, die über jeden Zweifel erhaben sind. Was ist da passiert?

Es treten auf: Ein sprechender Papagei mit menschlichen Zügen, Freund Jan mit Putzfimmel und nie nachlassendem Hang zur Akribie, breitschultrige Motorrad-Artisten mit heißem Draht zur Transzendenz, eine Kirche mit unterspültem Fundament und schiefer Orgel, eine Wohnung voll mit Dingen, die nach Buchstaben sortiert sind, weil Sprache die Welt ja so schön ordnet. Ein Embryo, ach, nein, eine tote Maus, die mit großer Bedeutung aufgeladen in einem Kästchen vermodert und das Stinken anfängt. Ein Vater, der an zu großem Herzen erkrankt, und eine Mutter, die Krabbencocktails auftischt wie in den Siebzigern. Und schließlich noch einmal Gertrude, die Papageiendame, die für einen beinahe tödlichen Unfall bei der Motorradshow sorgt und Elke, die versucht, die Gemeinde ihres Vaters mit dessen alten Predigten bei Laune zu halten und schließlich ein Kind auf den Namen ihres ertrunkenen Bruders tauft – Nachtigall, ick hör dir trapsen! Soll sich hier ein göttlicher Kreis schließen? Ende gut, alles gut? Puh!

Nicht dass ihr mich falsch versteht, ich mag Metaphern, Bilder und Allegorien. Sehr sogar. Aber ich mag auch herausgefordert werden und bin etwas empfindlich, wenn mit kleinen Zaunpfählen gelockt wird und mich das Gefühl beschleicht, ich könnte als Leserin für leicht begriffsstutzig gelten. Ich ertappe mich nach einem ersten Eindruck dieser Art schnell dabei, dass ich auf jeder weiteren Seite Beweise für allzu große Eingängigkeit suche und mein leiser Groll mit jedem neuen Fund lauter wird. Ich weiß. Ich weiß. Ich drehe mich dann hübsch in eine Spirale. Objektivität ist etwas anderes. Ganz klar. Aber was hat Literatur schon mit Objektivität zu tun oder? Auge um Auge?

Ach nee, das geht ja auch nicht, denn: An eye for an eye will leave everyone blind. Aber wird Klarheit nicht ohnehin überschätzt. In der Literatur und sonst auch, aber in der Literatur besonders. Braucht es nicht gerade da immer einen Schatten, einen Zweifel, ein Wanken? Ist zu große Direktheit nicht Kitsch? Mein subjektiver Eindruck also ein Urteil über die literarische Qualität? Immer wieder schwer zu sagen oder? Es bleibt diffus, uneindeutig, irgendwo zwischen schwarz und weiß, auch wenn Grau natürlich nicht ganz so effektvoll ist. Aber das macht nichts, denn es lädt zum Weiterdenken und Hinterherschwingen ein. Und das wiederum gibt mir das wunderbare Gefühl, ich würde alles verstehen und gleich darauf wieder nichts. Eindeutige Effekte stehen literarischen Höhenflügen dieser Art also im Grunde eher im Weg.

 

Tamar Noort. Die Ewigkeit ist ein guter Ort.
Kindler
ISBN 978-3-463-00034-3

 

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