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Arm in Arm

Liebe Doris Dörrie, was soll ich sagen? Fast muss ich mich beherrschen, um Sie nicht zu duzen. Mich hat wieder dieses irrwitzige Gefühl ergriffen, dass wir uns kennen, schon lange kennen. Ja, mehr noch, dass wir einander so zugeneigt sind, dass wir einträchtig nebeneinander auf einem Sofa sitzen und Sie mir mit quasi offenem Visier Geschichten erzählen, die eine solche Resonanz in mir finden, dass es mir schwer fällt zu glauben, sie wüssten nichts davon.

Ich weiß. Ich weiß. Das ist eine einseitige Angelegenheit. Und doch, Sie beherrschen dieses Metier des leichten, lässigen, ganz und gar selbstverständlichen, ungekünstelten und dabei so klugen Erzählens so sehr, dass es mich schon vor Jahren dazu getrieben hat, Sie auf offener Straße anzusprechen. Das erinnern Sie sicher nicht oder? Ich schäme mich noch heute dafür.

Sie standen ganz allein auf dem menschenleeren Vorplatz eines Kinos in Versailles, wo Ihr Film „Kirschblüten“ dem französischen Publikum präsentiert werden sollte. Ich wohnte zu der Zeit dort, war überpünktlich zur Stelle, sah das erstaunlich kleine Grüppchen von Besuchern und Sie, mutterseelenallein, weit ab, und ehe ich mich’s versah, bin ich in einem unkontrollierbaren Anfall von Enthusiasmus und einem seltsamen Anflug von Mitgefühl auf Sie zugestürmt und habe Ihnen die Hand entgegengestreckt.

Es folgte? Ein Moment peinlicher Stummheit. Obwohl die Gefahr einer Belagerung von Fans nicht ausmachen war, waren sie eindeutig eher ent- statt begeistert. Einen kleinen Moment lang fühlte ich mich betrogen, gleich danach beschämt, wurde ein bisschen wütend und schließlich kleinlaut. So habe ich mich in eine der hinteren Reihen des Kinos verkrümelt und erst nach Jahren wieder ein Buch von Ihnen zur Hand genommen.

Doch jetzt? Jetzt verzeihe ich Ihnen, denn was wäre mir entgangen, wenn ich nicht mit Ihnen zu Ihren Freundinnen in die USA, nach Japan und Marrakesch gereist wäre und über die klassische Heldenreise aus weiblicher Perspektive nachgedacht hätte? Endlich der Frage nachgegangen wäre, ob dieses Modell eigentlich auch für Frauen taugt oder ein reines Männerding ist. So Arm in Arm und beiläufig wie mit Ihnen kann man selten althergebrachte Denkmuster unterwandern.

Ach, ich glaube, ich würde wieder auf Sie zustürmen.

 

Doris Dörrie. Die Heldin reist.
Diogenes
ISBN 978 3 257 07184 9

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