Mit vorgehaltener Pistole

Fast kleinlaut möchte ich fragen: Darf ich das? Einen Roman kritisieren, der mit seinem moralisch so korrekten Thema daherkommt wie mit einer vorgehaltenen Pistole? Auch wenn alle Welt ihn für so wichtig, klug und gelungen hält, dass er – schwupps – auf der Short-List des Deutschen Buchhandels gelandet ist? Was ist da bei mir schief gelaufen?

Ich stand in den Startlöchern für Begeisterung, las los und dachte erst: Mmmhh. Und dann? Nö. Ok, der Vater ist ein Ekel, tyrannisiert seine Frau, deren Körpergewicht ihm herhalten muss für alles und in erster Linie persönliches Versagen. Er zwingt sie auf die Waage, demütigt sie und rauscht dann mit verspiegelter Sonnenbrille im Cabrio davon.

Die Mutter, in deren Seelenleben wir leider ebenso wenig Einblicke bekommen wie in die ihres Gatten, weswegen ihr Verhalten genauso vordergründig bleibt wie seins, diese Mutter also, lässt ihn gewähren, geht brav zu den Weight Watchers, reibt sich neben ihrem Job in Haushalt und Pflege auf, ist der Tochter mal zu- und dann wieder abgewandt, erbt ein Vermögen, verschenkt es und bleibt bei diesem Mann.

Die Tochter, Ich-Erzählerin und Kommentatorin zugleich, beäugt als 6jährige ihre Mutter oft so kritisch wie sie sich als Erwachsene mit ihr von Grund auf solidarisiert, was man mal versteht, meistens jedoch nicht, ist aber eh egal, da sie sich so oder so in der Beschreibung kleiner Begebenheiten verliert, deren Bedeutsamkeit nicht dadurch größer wird, dass Redewendungen kursiv gesetzt sind und wir zwischen den Kapiteln erfahren, welches der jeweilige Vogel des Jahres war. Und die eingestreuten Zitate von Gustave Flaubert und Max Frisch über Emily Dickinson bis hin zu Monaco Franze? So breit gefächert lassen sie den Verdacht aufkommen, dass sich hinter dem hoch aufgetürmten Berg von Alltäglichkeiten aus den 80er Jahren keine Weisheit verbirgt.

Ich stand am Ende davor, mit erhobenen Händen natürlich, das ist klar, denn das Thema Bodyshaming ist zweifelsfrei wichtig, doch frage ich mich, ob man im Banne dessen Sätze schreiben darf wie diesen: „Als Schriftstellerin ist es ein Zeichen von minderem Stil, diese Ausdrücke zu verwenden.“? Puh, daran habe ich mich schlussendlich trotz vorgehaltener Pistole derart verschluckt, dass die Frage, ob man das darf oder nicht, sich einfach nicht mehr stellte. Es tut mir leid. Das lief schief.

 

Daniela Dröscher. Lügen über meine Mutter
Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-00199-0

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