Beste Freundinnen
Kennt ihr das? Ihr habt die letzte Seite eines Romans gelesen, müsst danach in den Supermarkt und würdet es am liebsten jedem in die Hand drücken. Gerne auch persönlich. Klar kennt ihr das.
„Hier lies mal. Du liest nicht? Egal. DAS musst du lesen. Du wirst es lieben. Es ist ein Stück vom Garten Eden. Du MUSST es lesen. Du musst einfach. Wenn alle es lesen, wird die Welt eine bessere.“
Am Abend darauf gebt ihr es mit einer kleinen Überdrehung in der Stimme der besten Freundin und könnt kaum den Moment abwarten, wo sie atemlos anruft und sagt:
Jaaaa!!!!! Mein Gott, was für eine Geschichte.
Ihr wartet und wartet. Eigentlich schon viel zu lange, wie ihr findet. Doch dann endlich eine Nachricht auf dem Handy: Danke für das Buch. Ist nicht ganz meins. Aber trotzdem gut geschrieben. Brauche vielleicht Überzeugungsarbeit. Gehen wir heute Abend was essen?
Nein, denkt ihr. Nein, nein und nein. Nie wieder gehen wir was essen. Und auch nicht ins Kino und spazieren und ins Theater schon gar nicht. Punktum. Aus. Vorbei.
Überzeugungsarbeit? So ein Unsinn. Entweder es funkt, oder es funkt nicht. Posthum ist die Tür zum Himmel nicht zu öffnen. Unmöglich. Oder? Funktioniert das?
Habt ihr schon jemals jemanden davon überzeugt, dass ein Buch lebensverändernd ist, wenn sie oder er selbst es nur soso lala fand?
Man kann sein gesammeltes literaturkritisches und –wissenschaftliches Geschirr plus blinder Leidenschaft aufbringen. Der Plot, die Dramatik, die Figuren, die Sprache? Alles super. Guck doch mal! Das sieht doch ein Blinder usw. ….
Die Freundin schickt ein Emoji: Frau zuckt mit den Schultern.
Die Farben, die Gerüche, der Wendepunkt. Es ist so, so brillant. Ein letzter Versuch. Ihr könnt es nicht lassen.
Die Freundin antwortet nicht mehr.
Sie kapiert es einfach nicht oder?
Oder so:
Eine Freundin ruft euch abends um 23 Uhr an. Das tut sie sonst nie.
„Dieses Buch, das glaubst du nicht. Du musst es lesen. Ich kann es gar nicht in Worte fassen. Du MUSST einfach. Es ist ein vollkommen neuer Blick auf das Leben.“
Ihr seid natürlich sofort hellhörig und geht gleich am nächsten Tag in die Buchhandlung, lest die ersten beiden Seiten im Stehen und denkt: Okay? Schwierig. Ziemlich banal eigentlich. Oder verschwurbelt. Oder beides. Aber na gut, das kann ja noch werden. Ihr kauft das Buch. Beste Freundin halt.
Hundert Seiten weiter zweifelt ihr nicht nur an dem Buch, sondern vor allem und gründlich an der Freundschaft und an der Freundin sowieso.
Oder auch so:
Du gehst mit der besten Freundin einkaufen. Sie probiert ein Kleid an. Grün. Schmale Taille. Weiter Rock. Sie sieht großartig aus.
„Wow, das ist der Hammer. Das sieht super aus!“
Du hast die gleiche Kleidergröße.
Sie sagt: „Probier es doch auch mal.“
Du verziehst das Gesicht, blickst zu Boden, sagst: „Nein, eher nicht.“
Sie guckt dich mit großen Augen an.
Hast du gelogen? Wolltest du ihr nur schmeicheln? Ihr etwas andrehen, damit sie Ruhe gibt? Hast du eine stille Kooperation mit dem Laden, in dem ihr gerade seid? Willst du, dass sie blöd aussieht, damit du neben ihr umso mehr glänzt? Alles nein oder?
Das Kleid ist ein Traum. Aber: Es ist ihr Kleid, nicht deins. Gleiche Kleidergröße, gleiche Haar- und Augenfarbe, identische Schuhgröße. Andere Mutter, anderer Vater, anderes Leben, andere Geschichten, andere Kleider.
Mit den Büchern ist es manchmal wie mit den Kleidern. Leider. Sehr leider. Also richtig leider. Unglaublich leider.
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