Dem Zufall zu Hilfe
Wäre die Ehe von Jonathan Franzen nicht kaputtgegangen, würde Paula Fox heute nicht als eine Klassikerin der Moderne gelten. Kein Mensch würde ihre Bücher lesen. Sie wären in irgendwelchen Buchhandlungen und Bibliotheken erst verstaubt und dann verschwunden.
Franzens Ehedrama hat Paula Fox Glück gebracht. Musste das sein?
Es hat ihr Glück gebracht, dass er deshalb nach Yaddo, eine Künstlerkolonie im Staat New York, geflüchtet und dort in einer kleinen Bibliothek über ihr Buch gestolpert ist und es großartig fand. Das Buch traf ihn in seiner damaligen Situation ins Mark und rettete ihn, aber darüber hinaus gab es ihm auch den Glauben an die Bedeutung der Kunstform des Romans zurück.
Wunderbar, könnte man sagen, was für eine Fügung des Schicksals für Paula Fox. Und gut. Zufälle bestimmen nun mal den Lauf der Dinge und oftmals auch Karrieren. Aber ist die Geschichte damit zu Ende erzählt? Nein. „There is always the other side, always.“ – man kann diesen Satz von Jean Rhys gar nicht oft genug wiederholen.
Klar, spielen Zufälligkeiten in der Geschichte der Wiederentdeckung von Paula Fox eine Rolle. Aber wo soll man da anfangen? Hätte Franzen seine erste Frau nie kennengelernt, hätte das Ehepaar Trask nicht seine vier Kinder verloren, hätten sie aus ihrem Haus keine Künstlerkolonie gemacht, wäre Franzen nie dorthin gegangen, hätte es die kleine Bibliothek nicht gegeben? Und so weiter und so weiter. Über diese Aneinanderreihung von Zufällen kann man lamentieren, wirklichen Gewinn zieht man aus solchen Überlegungen nicht.
Interessant ist bei dieser Geschichte doch vielmehr die Frage, warum ist es zu dieser Situation, in der Paula Fox’ Schreiben auf Zufälle angewiesen war, überhaupt gekommen? Wo doch schon die erste Seite ihres 1970 erschienen Romans „Was am Ende bleibt“ unmissverständlich zeigt, was für eine Meisterin hier am Werk ist:
Im Hinterzimmer
Wenige Zeilen nur und wir befinden uns direkt im engen Hinterzimmer der Ehe der Bentwoods, in dem weder für Sophie noch für Otto noch für ein gemeinsames Glück Platz ist. Dabei verliert Paula Fox kein einziges Wort über die Beziehung des Paares. Man möchte fast sagen, im Gegenteil, sie vermeidet es penibel, eine Einschätzung, ein Urteil oder auch nur einen Kommentar abzugeben. Paula Fox guckt nicht herab, nicht herauf, sondern hin und zeigt uns mit schneidender Präzision und diskreter Eleganz, was zu sehen ist:
„Mr. and Mrs. Otto Bentwood zogen ihre Stühle gleichzeitig hervor. Während Otto sich hinsetzte, betrachtete er das Strohkörbchen, in dem die Baguettescheiben lagen, eine Tonkasserolle, gefüllt mit sautierten Hühnerlebern, geschälte, aufgeschnittene Tomaten auf einem ovalen Porzellanteller mit chinesischem Weidenbaummotiv, den Sophie in einem Antiquitätenladen in Brooklyn Heights aufgestöbert hatte, und den Risotto Milanese in einer grünen Keramikschüssel.“
Und das ist nur der Anfang. Rein äußerlich ist an der Welt der Bentwoods nichts zu beanstanden. Rein gar nichts. Alles ist hübsch und mit Bedacht arrangiert. Man muss sich ein bisschen Zeit lassen für Paula Fox‘ fein ziselierte Sätze, muss Platz nehmen am Tisch der Bentwoods, eintauchen wollen in ihre Welt. Dann, ja, dann ist einem am Ende der ersten Seite quasi hinterrücks schon fast die Luft abgedrückt.
Wie das? Inmitten der Vielzahl von Details eines Esszimmers fühlt man sich spätestens ab der Mitte der Seite verfolgt von dem Gefühl, dass sich in dem ovalen Porzellanteller oder der fluoreszierenden Röhre über dem Spülbecken aus rostfreiem Stahl ein Verhängnis verbirgt. Ein Verhängnis? Was für ein Unsinn. Wie soll sich in einem Teller ein Verhängnis verbergen? Mal ehrlich. Aber trotzdem. Was zu viel ist, ist zu viel. Der Druck wächst mit jedem Lampenschirm und jedem alten Zedernbrett des Fußbodens, das immer offensichtlicher aufgeboten wird gegen ein Dahinter, auf das Paula Fox uns partout und mit äußerster Konsequenz keinen Blick gewähren will, das aber genau deshalb zu einer monströsen Größe anschwillt. Mit nur wenigen Zeilen hat Paula Fox die Tür zur Welt der Bentwoods so weit geöffnet, dass die ganze amerikanische Mittelklassegesellschaft der 60er Jahre eintreten und ihr verkniffenes Gesicht zeigen kann. Es folgt ein Katzenbiss, ein winziger Einbruch der Realität nur, und das ganze Gebäude dieses Lebens ist übersät mit feinen Rissen, die sich immer weiter und weiter verzweigen und kein Ende finden.
Späte Erfolgsstory
Völlig offensichtlich, dass das Buch besser ist als alle Romane von Paula Fox’ Zeitgenossen John Updike, Philip Roth oder Saul Bellow, da ist sich Jonathan Franzen sicher. Zum Zeitpunkt des Erscheinens erhielt das Buch auch ausnahmslos positive Kritiken. Paula Fox fühlt sich ermutigt, angekommen, schreibt weitere Romane, doch der große Erfolg bleibt aus. Seit den 80er Jahren hat sie Mühe, ihre Manuskripte bei den Verlagen unterzubringen. 1990 schreibt sie ihren letzten Roman für Erwachsene, ob aus Trotz oder Frustration bleibt offen. 1992 ist sie vollständig vom Markt der Bücher für Erwachsene verschwunden, während John Updike, Philip Roth und Saul Bellow sich die Plätze auf den Bestsellerlisten teilen, obwohl ihre Romane auch nicht leichtgängiger sind als die von Paula Fox.
Erst Jahrzehnte später, nachdem Jonathan Franzen „Was am Ende bleibt“ aus der Versenkung hervorgeholt hatte, Tom Bissell, ein junger Lektor, sich daran machte, dem Buch einen Platz im Literaturbetrieb zu verschaffen und infolgedessen ein paar weitere Autoren von Rang wie David Foster Wallace, Jeffrey Eugenides und Jonathan Lethem ihrer Begeisterung Ausdruck verliehen, und – Achtung: eine Frau betritt die Bühne – Melanie Rehak ein großes Porträt für das ‚New York Times Magazine’ geschrieben hatte, beginnt die Erfolgsstory des Romans, wird er in viele Sprachen übersetzt, und Paula Fox sichtbar. Endlich sichtbar.
Was ist da schief gelaufen? Nur eine Frage von Zufall, Pech und Glück? Ist es vorstellbar, dass einen Schriftsteller mit einem derart herausragenden Werk das gleiche Schicksal ereilt? Schwer zu glauben. Vielmehr drängt sich doch der Verdacht auf, dass Paula Fox es ungleich schwerer hatte als ihre männlichen Kollegen einzig und allein der Tatsache wegen, dass sie eine Frau ist.
„Als weibliche Autorin bist du in diesem Land gezwungen, dir eine Nische zu suchen. Paula hat nie ausdrücklich Frauenthemen thematisiert. Sie war nicht feministisch, nicht schwarz, nicht jüdisch, keine politische Autorin. Keine Kategorie passte. Sie hatte mit Männern zu konkurrieren – Roth, Updike, Bellow. Männer hatten es leichter, haben es leichter.“ sagt Jonathan Franzen.
Gefahr im Verzug
„Dabei war sie keineswegs unbekannt, hatte neben den Romanen ein Dutzend Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht und Preise dafür erhalten. Hollywood hatte „Was am Ende bleibt“ (im Original: „Desperate Characters“) sogar mit Shirley MacLaine in einer Hauptrolle verfilmt, aber sie galt niemandem als Schriftstellerin. Zu Hause in Brooklyn gehörte sie zwar zur besseren linksliberalen Gesellschaft, zu der sie durch ihren Mann Martin Greenberg Zutritt erhalten hatte. Akademiker von der Columbia University verkehrten bei ihnen, Philip Roth schaute gelegentlich vorbei, aber sie stand in der Küche und kümmerte sich um das Essen.“ – schreibt Willi Winkler 2017 in einem Nachruf in der SZ.
Und schon 2009, das Jahr, in dem Bernadette Conrad für die Biographie „Die vielen Leben der Paula Fox“ recherchiert, ist der Name Paula Fox bereits wieder so unbekannt, dass Conrad ihn in zahllosen New Yorker Buchläden buchstabieren muss. Es ist also Gefahr im Verzug, und das ist ein alarmierendes Signal, wenn Frauen wie Paula Fox jemals in der Literaturgeschichte den Platz erhalten sollen, der ihnen zusteht.
Was ist also zu tun? Wenig hilfreich sind Literarische Jahresrückblicke, wie ihn die ZEIT am Ende des vergangenen Jahres herausgegeben hat, um darin Werke von 43 Autoren und lediglich 17 – siebzehn – Autorinnen vorzustellen. Überhaupt hat die Pilotstudie http://www.xn--frauenzhlen-r8a.de/ eindrücklich gezeigt, dass es noch immer eine deutliche Schieflage in der Literaturlandschaft gibt, und die ganze Zählerei somit ein frustrierendes Geschäft ist: Männliche Autoren werden bevorzugt, sie werden häufiger besprochen, bekommen mehr Platz, mehr Preise und höhere Vorschüsse. So ist es.
Wie das Lehrstück Paula Fox gezeigt hat, ist es von geradezu überragender Bedeutung wer, wen, wann und überhaupt fördert, ins Gespräch bringt, bespricht, kauft, liest, verschenkt und empfiehlt. Bücher werden zu gut 70 Prozent von Frauen gekauft. Das ist eine große Macht, die zu nutzen uns allen freigestellt ist. In diesem Sinne kommen wir doch einfach dem Zufall und Paula Fox und ihren vielen Kolleginnen zu Hilfe.
Was am Ende bleibt.
Übersetzt von Sylvia Höfer.
C.H.Beck Verlag
ISBN: 978-3-406-64711-6
Ich bin gespannt, wie lange es noch dauert, bis Frauen nicht mehr auf Zufälle, ein gütiges Schicksal oder einen männlichen Mentor angewiesen sind.
Danke für diesen Beitrag. Werde morgen, Montag, „Was am Ende bleibt“ in my local bookstore bestellen.
Da bin ich wirklich auch gespannt. Viel hängt da wahrscheinlich auch an der Solidarität von Frauen oder?