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Laut oder nicht laut

Seit ich auf 3sat gesehen habe, wie Ferdinand von Schirach seicht schwadronierend und schwülstige Belanglosigkeiten von sich gebend mit Anselm Kiefer einmütig über dessen weitläufiges Grundstück in Südfrankreich geschlendert ist, kann ich seine Bücher nicht mehr lesen. Ich frage mich ständig, wo in seinen Geschichten diese breitbeinige Selbstgefälligkeit versteckt ist. Ist doch ein und derselbe Mann, der bei Kiefer und der an dem Schreibtisch. Oder?

Was genau qualifiziert ihn eigentlich für Aussagen über moderne Kunst? Sein Jurastudium? Warum scheint er zu glauben, dass er so alles entscheidende Dinge über die Welt zu sagen hat? Weil er ein paar sehr gute Bücher geschrieben hat? Und warum zum Teufel steht er mit dieser Auffassung offenbar nicht alleine da? Warum räumen ihm alle Medienmacher der Nation derartig viel Platz frei, dass man eine Zeitlang nicht mehr den Fernseher einschalten konnte, ohne von der Vorschau auf einen seiner effekthaschenden Titel an die Wand gedrängt zu werden?

Sind zwei Künstlerinnen vorstellbar, die sich in gleicher Weise über Gott und die Welt eine Meinung bilden und sich wie Schirach und Kiefer dabei in schönster Eintracht einem Publikum präsentieren? Nein, oder? Und ganz ehrlich? Das macht es nicht besser.

Zugegeben ich bin grundsätzlich ziemlich empfindlich, was die Begegnungen mit AutorInnen angeht. Ich liebe Literatur, aber Literaturlesungen, bei denen die AutorInnen ihre eigenen Werke lesen, mag ich nicht sonderlich. Zu oft schon wurde ich enttäuscht, weil ich nicht bekam, was mich an den Büchern so fasziniert und ergriffen hatte. Gewundert hat mich das zwar nie besonders, aber ernüchtert schon. Wovon eigentlich? Was habe ich denn erwartet?

Kein Kommentar

„Mensch und Autor stimmen nicht überein“, schreibt Elena Ferrante, die sich noch vor Erscheinen ihres ersten Romans für die Anonymität entschieden hat und sich somit der Öffentlichkeit so absolut und gründlich verweigert wie keine andere Autorin weltweit.

„Nachdem ich geschrieben habe, habe ich nichts weiter zu sagen. Der Kommentar danach ist überflüssig. Ich schreibe. Und das reicht“, sagt Yasmina Reza, die mit ihren Theaterstücken „Kunst“, „Der Gott des Gemetzels“ oder „Dreimal Leben“ ein weltweites Publikum erreicht.

Anne Tyler, eine der erfolgreichsten Autorinnen der amerikanischen Gegenwartsliteratur, begibt sich nicht auf Lesereisen, steht für Interviews nicht zur Verfügung, lehnt Vortragstätigkeiten grundsätzlich ab und bei jedem small talk ist sie sich bewusst, dass sie anders klingt als in ihren Büchern.

„Ich habe das Gefühl, die Leute wollen etwas Geistreiches oder Lustiges von mir hören – dabei will ich einfach nur Brokkoli kaufen. Es ist vermutlich unmöglich, einen Leser nicht zu enttäuschen, wenn er mich persönlich trifft.“, sagt sie. Und weiter: „Immer wenn ich übers Schreiben spreche, kann ich eine Weile nicht mehr schreiben. Also lasse ich es lieber.“

Donna Tartt, Pulitzer-Preisträgerin und Bestsellerautorin, zog sich nach Erscheinen von „Die geheime Geschichte“, ihrem ersten Roman, der sie über Nacht zum literarischen Star machte, radikal zurück. Sie will nicht angerufen werden und keine E-Mails erhalten. Sie ist weder auf Facebook noch auf Twitter, so gut wie nie im Fernsehen, und auch Interviews gibt sie nur, wenn alle zehn Jahre einer ihrer Romane erscheint. Auf die Frage, warum sie natürlich auch Literaturfestivals meide, antwortete sie einmal:

„Sie lenken nur ab. Es ist besser für mich, zu Hause zu sein und mit meiner Arbeit fortzufahren, als aufzustehen und über ein Buch zu sprechen. Es ist sehr kontraproduktiv. Ich würde verrückt werden, wenn ich alle zwei Jahre eine Büchertour machen müsste. Ich würde völlig wahnsinnig werden. Ich kann nur alle zehn Jahre damit umgehen. “

„Ich hab′ gedacht, es soll ein Film über das Schweigen werden. Das Schreiben und das Schweigen. Aber wie macht man das? Vielleicht ist es bei anderen Autoren so, dass sie beim Sprechen andere Sachen hervorholen aus ihrem Hirn, während ich nichts hervorholen kann. Ich mag nicht sprechen! Und auf dieser Grundlage werden wir unseren Film aufbauen. Das machen wir!“, erklärt Friederike Mayröcker.

Erst die Arbeit

Man könnte diese Auflistung von Künstlerinnen, die sich nur über ihre Arbeit ausdrücken wollen, wahrscheinlich durch viele Sparten hindurch endlos fortsetzen. In der Harpers Bazaar vom Februar ist ein Beitrag über die Künstlerin Inge Mahn. Sie lebt und arbeitet in einem kleinen Ort in der Uckermark und: „Dass der Berliner Kunstbetrieb 70 Kilometer entfernt ist, empfindet sie als Segen. Der Idee, Kunst sei ein gesellschaftliches Ereignis, kann die Bildhauerin nichts abgewinnen. (…) Mahn hat ein Faible für das Miteinander, das Kooperieren, das Gespräch. Das KünstlerInnen-Dasein auf ein einzelnes Genie, eine Lichtgestalt zu reduzieren? Nichts könnte ihr ferner liegen.“

Das würde Phoebe Philo, die legendäre Chefdesignerin von Celine, die die große Joan Didion für eine Kampagne gewann, mit Sicherheit unterschreiben. Termine für Interviews waren bei ihr so schwer zu bekommen wie Schnee im Juni. Nicht im Traum wäre es ihr eingefallen, der Welt zu erklären, wie es sich mit der Welt verhält, nur weil sie eine begnadete Designerin ist.

Machen all diese Frauen etwas falsch, weil sie ihre Person für nicht so bedeutend halten wie ihre Arbeit, weil sie nicht in den Ring der Öffentlichkeit steigen wollen, da das Rampenlicht sie nachhaltig aus der Ruhe der Kreativität herauskatapultiert? Müssen sie sich bei dieser Zurückhaltung nicht wundern, dass sie unsichtbar bleiben und ihre Werke leicht in Vergessenheit geraten? Wer laut herum tönt, hat mehr Erfolg. Das ist eine Tatsache, auch wenn stille Tätigkeiten wie das Schreiben, Malen oder Komponieren dem Drang auf eine öffentliche Bühne eigentlich diametral entgegenstehen. Sind die Autorinnen und Künstlerinnen also zu schüchtern? Haben sie die Gesetze des Literatur- und Kunstmarktes nicht verstanden, weil sie zu blöd sind? Oder leider sie etwa unter dem Frauen anerzogenen Bescheidenheitsgebot? Wer ist hier eigentlich das Vorbild, der Maßstab, an wessen Messlatte wird sich hier ausgerichtet?

Stille Zwiesprache

Vielleicht ja nichts von alledem. Vielleicht sind sie einfach sehr selbstbewusst und wollen  nicht laut sein, weil sie sich nur auf ihre Leidenschaft konzentrieren, ihren Beruf, das Schreiben? Vielleicht lassen sie sich schlicht nicht unter Druck setzen, verweigern sich mit Bedacht dem vielfach üblichen Öffentlichkeitszirkus? Aber: Wer leise und zurückgezogen lebt, sich dem Rhythmus der kreativen Arbeit ergibt, hat selbst Schuld, wenn sie/er keinen Erfolg hat oder? Ist das so? Könnte es nicht auch sein, dass der Maßstab, an dem hier gemessen wird und an dem sich der Literatur- oder Kunstmarkt ausrichtet, laut und falsch ist? Dass die kreativen Räume für die AutorInnen, KünstlerInnen, ModedesignerInnen nicht ausreichend geschützt werden? Dass alle Welt im gesellschaftlichen Großereignis, auf allen Plattformen, die es gibt, wort- und bildreich Kunst und Bücher in Besitz nehmen will, die eigentlich nichts anderes als eine stille Zwiesprache brauchen, und deshalb Menschen auf die Bühnen und ins Licht zerrt, die lieber dahinter bleiben wollen? Könnte doch sein oder?

Die Leisen brauchen einen langen Atem oder große FürsprecherInnen. Beides nicht so einfach zu haben. Was soll ich sagen? Ich mag diese Schriftstellerinnen, Künstlerinnen, Modemacherinnen, die ihrem Werk, ihren Arbeiten den Vortritt lassen, die nicht wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ihre Person mit ihrer Arbeit konkurrieren könnte, die ihren Erfolg nicht dazu nutzen, dem Rest der Menschheit die Welt zu erklären, die nicht mit dem Ruhm zugleich dem Glauben anheim gefallen sind, es ginge um sie als Person. Ich finde das ziemlich sympathisch und auf eine sehr seltene sehr große Art sehr bescheiden und zwar vorbildlich bescheiden und nicht frauenspezifisch bescheiden. Darüber müsste man mal gründlich nachdenken. Jeder für sich. In aller Ruhe. Doch eins weiß ich jetzt schon: Ich möchte auf gar keinen Fall, dass Anne Tyler in Fernsehstudios herumsitzt, sich auf Youtube herumtreibt oder sich in Podcasts zu Wort meldet, denn dann hätte sie ja weniger Zeit zum Schreiben, und ich müsste noch länger auf ihre Bücher warten.

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