Schönschreiben

Gin, Bier, Scotch und Rum, Edith, ihr Ehemann, der Sohn, Freunde, Therapeuten, alle haben ständig Drinks in der Hand. Es wird gesoffen in „Ediths Tagebuch“ von Patricia Highsmith. Doch nicht deshalb bin ich vollkommen berauscht davon. Nein.

Berauscht bin ich von dem, was Patricia Highsmith NICHT erzählt. Ihre Kunst der Auslassung ist grandios. Im Grunde ist das, was sie nicht sagt, das, was sie erzählt.

Okay? Schwierig? Was ich meine, ist, wir bekommen hier kein Fertiggericht vorgesetzt, sondern müssen selbst kochen. Wir begleiten Edith, die Journalistin, wie sie mit ihrem Mann Brett und dem zehnjährigen Sohn Cliffie von New York nach Pennsylvania zieht. Wir sehen, wie sie sich Mühe gibt, wie sie kocht, Artikel schreibt, Gäste einlädt, den bettlägerigen Onkel ihres Mannes versorgt, gute Miene macht zu Cliffie, der im Winter in einen Fluss springt, die Katze malträtiert, jede Prüfung vergeigt und dabei blöd grinst. Edith schreit nicht, regt sich nicht auf, geht niemandem an die Gurgel, nicht einmal ihrem lieben Ehemann, der sie nach 20 Jahren wegen seiner jugendlichen Sekretärin verlässt, um einen zweiten Wurf in Sachen Familie zu landen, wobei er Sohn und Onkel inklusive guter Ratschläge in Ediths Obhut lässt. Wie sollte das sonst auch gehen mit dem Neuanfang?

Kein Weg nach Pennsylvania

Und, nein, Edith platzt weder vor Empörung noch vor sonst irgendetwas, sie schreibt Tagebuch. Klar, oder? Sie schreibt sich ihre Welt schön. In ihrem Tagebuch ist der Sohn erfolgreich, der Ehemann abwesend, es gibt Enkelkinder und Glück. Vor allem das, Glück.

Also wo ist das Problem? Edith sieht es nicht. Und genau darum geht es. Patricia Highsmith erspart ihren LeserInnen nichts. Sie verlegt das Problem in sie hinein, sie, die mit jedem Kapitel mehr nach Pennsylvania fahren und dazwischen gehen, die Edith schütteln, Cliff rausschmeißen und Brett eine Moralpredigt halten wollen, und die, weil sie all das nicht können, sich selbst ins Gesicht gucken müssen und darüber und über die verrückte Edith, die sie dazu gebracht hat, vor Wut zu kochen. Sag ich doch. Alles muss man in diesem kongenialen Roman selbst machen. Kongenial eben. Es ist ein Leseerlebnis der vollkommen hinreißenden Art. So vollkommen.

Patricia Highsmith, Ediths Tagebuch
Übersetzt von Irene Rumler
Diogenes Verlag
978-3-257-23417-6

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