Alles Schicksal oder was?
Dieses Buch hat Rachel Kushner mir vor die Füße geknallt. Ich wollte eine komplett andere Welt, nichts Seichtes, keine lauwarmen Mittelstands-Protagonisten, keine angestrengten Kunstsätze und schon gar keine Gedankenprosa. Kushner kam mir gerade recht. Sie fasst ihre Leser nicht mit Samthandschuhen an, schubst sie mitten in einen Frauenknast und hält dann drauf.
Romy Hall hat zweimal lebenslänglich plus sechs Jahre, weil sie ihren Stalker erschlagen hat. Daran gibt’s keinen Zweifel. Jetzt muss sie zusehen wie sie mit Sammy, Candy und all den anderen klarkommt. Jede kämpft ums tägliche Überleben. Der Umgang ist ruppig, brutale Übergriffe unter den Frauen und vom Aufsichtspersonal sind an der Tagesordnung. Die Frauen finden trotzdem einen Weg zueinander. In seltenen Augenblicken.
Einen wirklichen Plot gibt es nicht. Wie auch? Die Frauen sitzen lebenslänglich, da sind alle Stories irgendwie gelaufen. Rückblicke? Ja. Romy hatte keine Chance. Familie, Schule, das ganze Umfeld, alles auf Absturz gepolt. Romy wird früh schwanger. Sie bekommt einen Sohn, Jackson, der nach ihrem Prozess zu ihrer Mutter kommt und, als diese stirbt, für Romy auch mit Hilfe eines Sozialarbeiters nicht mehr auffindbar ist.
Kleine Unterschiede
Kushners Blick auf die Welt hinter Gitter ist sehr kenntnisreich, gründlich recherchiert, unsentimental, kritisch und doch fehlt was oder ist zu viel, wie man es nimmt. Es fehlt das Erspüren der Momente, die den Unterschied machen. Für Kushner gibt es sie nicht, diese winzigen Augenblicke, die dem Menschen eine Wahl lassen. Schicksal, für sie ist Romys Weg Schicksal. Ein Schicksal aufgrund sozialer Missstände, die zu schildern Kushner ein bisschen berauscht, weil sie als Tochter akademischer Hippies genau dort aufgewachsen ist, wo Romy herkommt und deshalb vielleicht besser als andere zu wissen glaubt, wovon sie spricht. Leider kann ich ihr das nicht so ganz glauben.
Denn sind es am Ende nicht diese kleinen Unterschiede, die den Menschen ausmachen und Geschichte(n) schreiben? Wenn Rachel Kushner ihren Blick ein wenig weg von den sozialen Missständen auf die Psychologie ihrer Figuren hin richten würde, dann würde da vielleicht etwas zünden oder aufleuchten oder auch verlöschen. Vielleicht etwas ganz Kleines? So irgendwie. Puh! Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine?
Rachel Kushner, Ich bin ein Schicksal
Übersetzt von Bettina Abarbanell
Rowohl Verlag
ISBN978 498 03580 8
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