Die unsichtbare Schnur

Dunkel ist es in diesem Buch und wild. Der Garten, das Haus, die Menschen, ihre Wünsche und Phantasien. Tote Winkel, blinde Spiegel, verschlossene Türen. Kein Durchkommen. Zunächst. Iris Murdoch schickt sieben Personen in ein zwischenmenschliches Debakel, lässt ihre Gefühle über Tische und Bänke tanzen, mal lauthals, dann stocksteif.

Lydia ist gestorben. Das ist der Ausgangspunkt. Edmund, der einzelgängerische Ich-Erzähler, einer ihrer beiden Söhne, kommt deshalb mit festen Prinzipien im Gepäck nach Jahren zurück in sein Elternhaus in Nordengland, wo er auf seinen Bruder Otto, seine Schwägerin Isabel, ihre Tochter Flora, das ehemalige Kindermädchen Maggi, David, den Lehrling und dessen Schwester Elsa trifft. Alle miteinander tief verstrickt in wie-soll-man-es-nennen? Familie? Liebe? Abhängigkeit? Oder alles durcheinander?

An Konflikten jedenfalls mangelt es nicht, und als Flora wegläuft und Edmund ihr durch einen verwurzelt struppigen Garten hindurch stolpernd und strauchelnd hinterherrennt, hätte man sich vollends verloren geglaubt, wenn da nicht zwischen den Zeilen und hinter den Wörtern diese unsichtbare Schnur gewesen wäre, diese innere Logik, an der Iris Murdoch ihre Figuren zu einem im Wortsinn flammenden Finale zieht. Endlich, endlich fällt dann Licht auf die sieben Figuren und in sie hinein, erhellt ihre Gemüter und lässt sie klarer sehen.

Dass Iris Murdoch auch eine Philosophin ist, lässt sich nicht leugnen, noch weniger allerdings ihre absolute Meisterschaft in psychologischer Linienführung, die – man höre und staune – dazu geführt hat, dass ihre Romane hierzulande nicht mehr erhältlich sind. Die Gründe dafür liegen im Dunkeln, um nicht zu sagen in der finstersten Ecke verlegerischer Entscheidungsbereiche.

Viele assoziieren mit ihr wahrscheinlich nur noch ihre Alzheimererkrankung, die in „Iris“ 2001 mit Kate Winslet, Judi Dench und Jim Broadbent in den Hauptrollen filmisch großartig in Szene gesetzt wurde, aber leider nicht dafür gesorgt hat, dass ihre Bücher einen dauerhaften Platz in den Buchhandlungen bekommen. Lest sie doch einfach trotzdem. Holt sie wieder ins Licht. Bitte.

Iris Murdoch. Das italienische Mädchen
Aus dem Englischen von Stefanie de Vries
Piper Verlag
ISBN 3-492-22935-2

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