Im Sturm der Erniedrigung

Vorsicht. Ganz vorsichtig bitte. Dieser Text ist sehr zerbrechlich. Er hat so viele Risse und Bruchstellen, dass er zu zerfallen droht. Ungelenk sind die Sätze manchmal, windschief die Worte, weil Libuše Moníková Janas Stimme zu Gehör bringt. Kurz bevor sie bricht. Und kurz nachdem Jana von einem Polizisten vergewaltigt wurde und ihn in Notwehr erschlagen hat. Im Rausch der Abwehr, der Wut, dem Sturm der Erniedrigung, in der er sie zu Fall gebracht hat.

Jana ist Studentin, jung, so jung und kraftvoll, dass sie die alte Straßenbahn, die sie nachts durch das Regierungsviertel von Prag fährt, um sich etwas Geld zu verdienen, im Lauf überholen kann. Das verkürzt ihr die Zeit, fordert sie heraus, schärft ihre Sinne. Denkt sie, bis sie im Dunkeln gegen eine Absperrung läuft, die vorher nie da war. Ein Polizist ist sofort zur Stelle. Der Polizist, dessen Leiche sie kurz darauf ins Wasser stürzt. „Das Haar, der Mund, die Ohren schmerzen, die gepressten Augen fassen keine Konturen, sie schleifen seelenblind über die Flächen.“ – so tief beschädigt stolpert Jana danach durch die Tage, gerät sie ins Straucheln, klammert sie sich an die spärlichen Reste des Vertrauten: ihr Bett, Filme, die Bibliothek. Mara hilft ihr und Irene, die sie von früher kennt. Die Frauen stellen keine Fragen, als wüssten sie, worum es geht.

Unbehauener Zugriff

Als arbeitete sie in einem Steinbruch fügt Libuše Moníková Worte wie Brocken eines ehemals Ganzen zu einer Geschichte zusammen. Man spürt, dass Deutsch nicht die Muttersprache der Tschechin ist, die seit 1971 in der Bundesrepublik lebte und dieses Buch 1981 veröffentlicht hat. Doch genau das deshalb zuweilen Unbehauene ihres Zugriffs hat das Erzählen einer solchen Schädigung erst möglich gemacht. So viel ist sicher. Ob ich es euch ans Herz legen soll, das weiß ich nicht zu sagen und will es auch nicht. Aber ein bedeutendes und vollkommen vergessenes Stück Literatur ist es doch. Und vielleicht habt ihr ja Lust bekommen, mal zu gucken, wer Libuše Moníková war …

 

Libuše Moníková, Eine Schädigung
dtv
ISBN 3-88022-246-0

 

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