Kein Flow. Nein.
Wäre dieses Buch eine Röhre, was ja Quatsch ist, aber wenn: Man könnte nicht hindurchrutschen, man bliebe hängen. Es flutscht einfach nicht, sondern schubst einen von einer Ecke in die andere und zwar mit voller Absicht. Da wird man durchgerüttelt, dass man sich kaum wiedererkennt. Schon wenn man nur auf die Seiten des Buches guckt, wird einem ganz anders. Diese kurzen Absätze. Dieses viele Weiß. Da fällt man quasi durch. Lesen hilft nicht, denn da ist viel Nichts. Lauter große Absätze zwischen diesen Textstücken und eben keine Buchstaben, die einen in so einer Röhre so schön in Fahrt bringen können. Nein. Nichts. Zufall kann das nicht sein.
Dass der Autorin nichts eingefallen wäre? Ausgeschlossen. Davon legen die Passagen, die sie geschrieben hat, sehr beredt Zeugnis ab. Jenny Offill fällt eine ganze Menge ein. Zu allem. Viel zu viel, möchte man fast sagen. Also will sie, dass wir stocken, nicht rutschen. Sie will uns wach, nicht im Rausch oder Sog einer Geschichte. Nein. Stop und Achtung und Vorsicht schreit es quasi aus den weißen Abgründen. Hier bist du, und da ist, was ich dir erzähle. Vergiss das nicht. Identifizierung verboten, auch wenn das dazu führt, dass man sie umso mehr will. Ertappt. Ich sage euch, das ist Teil des Spiels. Immer schön wach bleiben. Nicht wegdämmern. Kein Flow. Nein.
Gehackte gegenwartsdiagnostische Versatzstücke gibt es, die irgendwie zusammenhängen, aber irgendwie auch nicht, weil: Wie denn? Lizzy, die Bibliothekarin , die keine ist, hat einen Sohn, einen Mann, einen Bruder und neuerdings eine Schwägerin, eine Nichte. Sie trifft jede Menge Leute. Alle haben Probleme mit irgendwas. Es kursieren Untergangsphantasien, weil Lizzy für Sylvia arbeitet, die einen Podcast über das Ende der Welt betreibt. Es entsteht eine Chronologie des Alltags, in der naturwissenschaftlich und verhaltensbiologisch fundiert seziert wird, was in der Luft liegt. Klug und unterhaltsam, aber mit Bedacht stockend. Am Ende kommt einem die Sehnsucht nach dem Flutsch, dem Flow, der Fahrt fast banal vor.
Warum atemlos auf den Buchstaben und mit den Buchstaben schnell durch die Röhre rutschen? Wir wissen doch eh nicht, wo sie endet. Ok, wenn diese ganzen Widrigkeiten überwunden wären, und klare Sicht herrschte, ja, dann könnte man durchrutschen. Das erzählt Jenny Offill natürlich auch. Aber am Ende war das mit der Röhre ja sowieso Quatsch. Also lesen. Stück für Stück. Lücken hin oder her. Und was hat eine Röhre überhaupt mit einem Buch zu tun. So wenig wie Ich und Du? „Der grundsätzliche Wahn besteht darin, dass ich hier bin und du dort bist.“ – das ist der letzte Satz.
Jenny Offill, Wetter
Übersetzt von Melanie Walz
Piper
EAN 978-3-492-07057-7
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