Laut, theatralisch und peinlich
Es gibt Bücher, die wollen einem ans Leder. Da muss man sich etwas wärmer anziehen. Ihre ersten Sätze biedern sich nicht an, schmeicheln sich nicht ein und das Wort umgarnen kommt in ihren Reihen nicht vor. Mit solchen Büchern muss man es aufnehmen wollen.
Man darf ihre Worte nicht hinunterschlingen, sondern muss sie eins nach dem anderen gut durchkauen. Immer schön langsam und mit Bedacht, sonst besteht die Gefahr, dass man eins runterwürgt, was später unverdaut wieder hochkommt, und das wäre nun wirklich schade, besonders bei einem Buch, das sich so in Schale geworfen hat wie Lionel Shrivers „Die perfekte Freundin“.
Das Cover, der Titel, die Haptik – mal ehrlich, mehr Charme geht nicht. Aber wenn hier jemand deshalb weiche Knie bekommt, ganz schlecht, denn die Geschichte ist eindeutig nichts für sentimentale Weicheier.
Also, zwei Schritte zurück, nicht irgendwo hinfläzen, gerader Rücken, Bauch einziehen, ein klarer Kopf und auf geht’s: Jillian ist unbeliebt. Daran gibt es nichts zu rütteln. Sie ist unbeliebt bei allen und das nicht ohne Grund. Sie ist laut, theatralisch, ihr rotes Haar ist zu rot, sie dilettiert künstlerisch herum, ist ohne Anspruch, oft peinlich und mit alldem ziemlich zufrieden. Es gibt Liebhaber, die kommen und gehen und einen, einen einzigen, wirklichen Freund: Weston Babansky, genannt Baba. Mit Baba spielt Jillian dreimal die Woche Tennis und danach alle Fragen des Lebens durch. Seitdem sie das Thema Liebe nach ein paar Tests im Bett für sich abgeschrieben haben richten Jillian und Baba sich aneinander aus und auf. Alle sind zufrieden.
Alle außer Paige, die Frau, die Baba heiraten möchte. Der Grund, wen wundert’s: Sie kann Jillian nicht ausstehen. Das klingt so verkürzt banal, entwickelt aber ein so abgründiges Eskalationspotential, dass es einen schlichtweg vom Stuhl reißt. Man will dazwischen gehen, Partei ergreifen, ein Machtwort sprechen, besser sein und wird schier verrückt, weil es nicht funktioniert. Es funktioniert einfach nicht. Am Ende steht man mit offenem Mund da und ringt nach Argumenten. In diesem Konflikt steckt die ganze Welt. Ja, genau, kleiner habe ich es nicht. Es bleibt einem die Spucke weg. Also wirklich. Hut ab Lionel Shriver, große, ganz große, ganz, ganz große Kunst.
Lionel Shriver, Die perfekte Freundin
Übersetzt von Christine Richter-Nielsson
Piper Verlag
IBAN 978-3-492-07020-1
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