Total cool

Dieses Buch hat einen Sound, da gibt es keinen Zweifel und dass es Udo Lindenberg gefällt, wundert mich nicht. Nora Gantenbrink spielt die Klaviatur sehr sicher.

Marlenes Vater ist an Aids gestorben, da war sie kaum 18. Von da an war er naturgemäß ganz weg, was jedoch zunächst nicht weiter auffiel, da er auch vorher nie da war, und das, das war das eigentliche Problem für die kleine Marlene und wurde ein noch viel größeres für die große Marlene.

Sie taumelt durch ihre Kleinstadtjugend der 90er Jahre, flüchtet sobald es geht nach Hamburg, wohnt auf dem Kiez direkt am Transenstrich und verwendet so ziemlich ihre gesamte Energie darauf, die Menschen auf Abstand zu halten, den One-Night-Stand aus der Kneipe, den alten Freund Oleg, die schwangere Leonie. Der Vater. Es ist der Hippie-Vater, der ihr Denken infiziert, ihre Gefühle zum Boykott zwingt, das wird immer klarer, und sie beschließt sich auf seine drogenverseuchten Spuren in Marokko, Indien und Thailand zu begeben. Ein Anruf der Mutter kurz vor der Rückreise zerrt sie brachial zurück in ihr eigenes Leben.

Herzerwärmend komponiert dieser Roman, in dem Nora Gantenbrink Episoden aus Marlenes Jugend, Geschichten über ihren Vater und ihre Gegenwart temporeich verknüpft. Und dann dieser Sound. Cool, hip und kurzatmig. Vielleicht, ganz vielleicht ein winziges bisschen zu gekonnt und zu lässig. Ein schiefer Ton hier, ein zittriger Akkord da hätten eventuell eine Demut in den Roman geschleust, der eine noch längere Halbwertszeit hat als ein total cooler Sound. Aber vielleicht ist das auch eine Frage des Alters. Obwohl? Udo Lindenberg ist ja auch keine 30. „Keep on going“ ist das vorletzte Kapitel überschrieben. Na dann. Eine sehr leichtfüssige Leseerfahrung.

Nora Gantenbrink, Dad
Verlag Rowohlt Hundert Augen
ISBN: 978-3-498-02535-9

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert